Björn Espe (FDP): Und täglich grüßt der Lockdown

Gastkommentar für „CelleHeute“

Kommt man mit einem 15 Kilometer-Radius von Wietzenbruch nach Wathlingen? Warum verändert sich die Situation trotz Lockdowns nicht? Warum ist Niedersachsen Schlusslicht in Sachen Impfungen? „Die wirtschaftlichen Schäden können wir in Teilen vielleicht noch kompensieren, falls irgendwann mal die versprochenen Zahlungen bereitgestellt werden. Die gesundheitlichen, physischen wie psychischen, werden wir mit immer willkürlicheren Einschränkungen kaum heilen können.“ Der Celler FDP-Vorsitzende Björn Espe macht sich in einem CELLEHEUTE-Gastbeitrag Gedanken zur Lage der Nation.

„Wenn Du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis.“ Fast jeder Arbeitnehmer im Büro kennt die alte Phrase und so kamen sie also gestern wieder einmal zusammen, um auf der Ministerpräsidentenkonferenz die Maßnahmen zu beraten, die uns aus der Coronakrise führen sollen.

Die Antwort der Bundeskanzlerin war, dass dies von den Bundesländern so übernommen wurde. „Die“ Bundesländer war bis zu dem Zeitpunkt übrigens nur eins: Sachsen. Und warum dort die 15 Kilometer zur Lösung der Probleme beitragen, hat man sicherheitshalber auch in Sachsen nicht erklärt.

In Celle kommt man damit beispielsweise bis nach Wathlingen. Streng genommen eigentlich nicht, denn wenn Sie in Wietzenbruch wohnen, ist bereits in Nienhagen für Sie Schluss mit lustig. Aber so genau wolle man das dann doch nicht nehmen, sagte die Kanzlerin und legitimierte damit die Fahrt durch ganz Berlin, plus weiteren 15 Kilometern.

Dass man vernünftige Erklärungen und Begründungen für seine Maßnahmen liefern muss, zeigt nicht nur dieses absurde Beispiel, sondern ist in einer Demokratie eigentlich normal und war bereits nach dem ersten Lockdown Teil der öffentlichen Debatte, um Verschwörungstheoretikern und Kreuz- und Querdenkern keinen Raum für ihre Wahrheiten zu geben.

Nun müssen wir uns aber schon mal fragen, warum wir nahezu alles runterfahren und sich die Situation trotzdem nicht verbessert.

Wir tragen Masken, wir halten Abstand, wir haben die sozialen Kontakte eingeschränkt und so beschämend ich die Bilder vom Wochenende aus dem Harz auch finde, bleibt trotz allem festzuhalten, dass sich die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung an die Vorgaben hält. Ich empfinde es daher als bittere Polemik und Schlag ins Gesicht all derjenigen, die mit Existenzängsten und Einsamkeit kämpfen, die jeden Tag neu die Betreuung ihrer Kinder organisieren, oder in systemrelevanten Berufen nicht ins Homeoffice können, wenn die Politik die Bilder aus dem Schnee dann als Narrativ verwendet, um von der Wirkungslosigkeit des eigenen Handelns abzulenken. Nach dem Motto: „Wir geben hier alles für euch und eure Fahrt auf dem Schlitten sorgt jetzt dafür, dass das nicht funktioniert.“

Vielmehr scheint man sich nun aber mit der weiteren Schließung der Schulen endlich einzugestehen, dass diese und vielmehr der Weg im ÖPNV durchaus ein Problem sind. Wir alle haben die Bilder aus den vollen Bussen gesehen und uns gefragt: warum genau ist das kein Problem? Bis heute kann mir keiner erklären, warum sich ausgerechnet Kinder weniger anstecken sollen und ob es nicht die Situation explizit verschlimmert, wenn diese auch noch symptomfrei und damit ohne dass es jemandem auffällt, das Coronavirus weitertragen.

Heutzutage engt man Debatten ein, in dem man hinter das unliebsame Thema das Wort Nationalismus hängt. Auf diesem Wege habe ich letzte Woche ein neues Wort gelernt: Impfnationalismus. Warum es stattdessen besser, richtiger, oder auch egal sein soll, dass dann eben Israel, die USA, oder andere Länder mit einem Impfstoff aus Deutschland bereits losgelegt haben, werden wir durch diese künstliche Überhöhung des Themas kaum diskutieren können, denn wer möchte schon Nationalist sein? Außer die AfD vielleicht.

Und es stimmt ja auch. Warum sich unnötig über zu wenig Impfdosen aufregen, wenn wir in Niedersachsen nicht mal das verimpft bekommen, was wir bereits haben. 0,1 % aller Niedersachsen wurden bisher geimpft, obwohl ein Vielfaches mehr an Impfstoff vorhanden ist. Damit belegen wir einen guten 16. Platz von 16. Ich möchte ja schließlich auch kein Impfnationalist sein. Nicht mal für mein Bundesland.

Den Lockdown werden die nachfolgenden Generationen ausbaden müssen. Diejenigen, denen wir jetzt nicht nur mangelhafte oder keine Bildungsangebote machen, sondern die die überbordenden Schulden Deutschlands und Europas durch Steuern und Abgaben zurückzahlen müssen. Damit wir uns nicht falsch verstehen, die Verlängerung des Lockdowns ist richtig. 

Aber es ist deswegen richtig, weil seit letztem Sommer keinerlei Vorbereitungen getroffen wurden, um überhaupt andere Wege gehen zu können. 

Für manchen war die FDP mit der Digitalisierung oftmals eher lästig, da sich das Thema auch nicht so einfach emotional besetzen lässt. Jetzt sehen wir gerade im Bereich der Schulen wie wichtig es gewesen wäre, dass mal anzugehen. Umso erschreckender, dass es nicht mal jetzt passiert. Der Föderalismus und das viele klein-klein vor Ort sind da eher hinderlich. Warum Luftfilter für Schulen in Lachendorf richtig, einen Ort weiter aber schon wieder falsch sind, können Sie ja mal ihre Kreistagsabgeordneten fragen. Jedenfalls wurde der Antrag der FDP mit Stimmen der CDU und SPD abgelehnt. Zu teuer, nutzlos, obwohl diese auch bei der alljährlichen normalen Grippe und Allergien hilfreich für unsere Kinder und Lehrer gewesen wären. 

Aber man muss ja nicht alles neu kaufen, was schon da ist. Wer die Belüftungsanlage im Inkognito sieht, der sollte vielleicht dort die Klassen unterrichten lassen, denn diese wechselt innerhalb von wenigen Minuten die Luft einmal durch und ist mindestens ausgelegt für eine mittelgroße Schule. Stattdessen hat das Hochtechnologieland Deutschland als einzige Idee, die Fenster zu öffnen.

Die wirtschaftlichen Schäden können wir in Teilen vielleicht noch kompensieren, falls irgendwann mal die versprochenen Zahlungen bereitgestellt werden. Die gesundheitlichen, physischen wie psychischen, werden wir mit immer willkürlicheren Einschränkungen kaum heilen können. Anders als willkürlich ist es wohl kaum zu bezeichnen, wenn ich nur alleine irgendwo hinfahren darf, während mein Partner oder Partnerin brav alleine im gemeinsamen Haushalt auf die potenzielle Ansteckung nach meiner Rückkehr wartet.

Während des ersten Lockdowns schoss ein Buch in die Spiegel Bestsellerliste, das bereits 1947 veröffentlicht wurde: „Albert Camus – Die Pest“. Wenn Sie für den dritten Lockdown noch etwas Lesestoff suchen, probieren Sie es doch mal mit „Stewart O‘ Nan – Das Glück der anderen“. Oder, wer es etwas plakativer mag: „Max Frisch – Biedermann und die Brandstifter“.